du hast es nicht einmal in Betracht gezogen, mich mit einzubeziehen: der einsame Wolf, der meine Streicheleinheiten genießt, um mich kurz darauf von sich wegzustoßen. ich schmecke seit Tagen Waldboden. trage ein Korsett aus Stahl - ich atme nicht, ich sinke. als ertränke ich an meinem Leben. kannst du nicht sehen, dass es dein Alleingang ist, der uns beiden so viel Leid zufügt? kannst du nicht sehen, dass es noch andere Wege gäbe? die ich mit dir gehen könnte? du hast diese fundamentale Überzeugung: du könntest deine Probleme nur alleine lösen, ohne mich - Rückzug für dich, Verbannung für mich. und ich? habe Verständnis, wie befremdend und dadurch abschreckend dieses Konzept ist: jemanden nah an seine Seite kommen zu lassen, während man selbst seine Traumata konfrontiert. Du rennst weg, weil ich etwas in dir auslöse, dass du noch nicht für dich gelöst hast. dass ich dir, gerade auch weil ich dieses schlummernde Trauma in dir aufwecke, helfen könnte, es “zu lösen”, kommt dir nicht in den Sinn. Abermals triffst du eine tiefgreifende und - schneidende Entscheidung, die uns beide betrifft, alleine. Ich kann dir nicht helfen, wenn du mich nicht lässt. Verdammt. Verstehst du denn nicht? der Schlüssel, der die Kellertür öffnet, kann sie auch wieder schließen. ich will dich doch nicht zähmen! und schon gar nicht an die kurze Leine nehmen, mein liebster. einsamer wolf. beiß in die Hand, die dich liebkost. wenn du nicht anders kannst. aber ich ziehe sie nicht weg. beiße zu, statt sie zu ergreifen. das Massaker ist doch schon längst angerichtet: es sind in mir keine Wunden übrig, die du noch nicht aufgerissen hast. ich werde meine Hand nicht zurückziehen. Verstehst du denn nicht? meine Freundschaft hat keine Deadline. wie oft und wie viel Mühe du dir gibst, mich zu vergraulen, weil dein Kopf sich nach dem Kraulen meiner Finger sehnt, deine Lippen nach meinen Küssen, dein Zittern nach meiner Wärme. du tobst und schlägst um dich. fliehst und versteckst dich: der einsame Wolf, der Angst davor hat, nicht mehr allein sein zu können
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(Rat an mich selbst)
Pflanze eine Wildblumenwiesen in die große,
leere Einsamkeit in dir. Sei du ganz (selbst-)
bewusst ihr Gärtner.
Wenn ein ganz besonderer Mensch kommt,
möchtest du vielleicht die Verantwortung
für einen kleinen Teil des Gartens verschenken.
Gehe dieses Wagnis ein, wenn es sich
richtig anfühlt; es könnte es wert sein.
Sollte dieser Mensch wieder aus deinem Leben
verschwinden, werden einige der Pflanzen
eingehen und verdorren. (Der allergrößte Teil
aber fröhlich weiterblühen.)
Die kahlen, toten Stellen werden dich zuerst
betrüben. (Sie werden dir zu einer traurigen
Stätte, die du ab und zu besuchst.)
Doch wenn du dich nur weiter gut um deinen
Garten kümmerst, wird deine bunte
Wildblumenwiese schon bald wieder
jeder kahlen Stelle neue wilde Pracht
geschenkt haben.
- musenwut
10
Ein Gedichtfragment aus dem neuen Buch, an dem wir zur Zeit gemeinsam mit meiner Co-Autorin Jennifer Hilgert arbeiten.
52In einem gnadenlosen Sog zerrt uns die Zeit
unaufhaltsam immer weiter vorwärts.
Und dort, am Zeitenhorizont, sehen wir
unsere Welt bereits rot in Flammen getaucht.
Wir können uns dieser Brandvision schon lange
nicht mehr entziehen; wenden wir den Blick ab,
so sehen wir das Nachbild der Weltenentzündung,
das sich durch unsere Netzhaut bis tief
in unser innerstes Selbst gefressen hat.
Doch was es mit uns macht, liegt ganz bei uns.
- musenwut
9Wer träumt von wem:
ich von der Liebe oder die
hungrige Liebe von
meinem Herzen?
– M.B., wortabdruecke
13Im ganzen Wörterbuch kein Synonym für
unsere Liebe gefunden.
Weil sie unmöglich
in ein einziges Wort
hineinpassen kann.
– M.B., wortabdruecke
29Du wünschst mir eine gute Nacht
und ich lege mich ins Bett.
Aber wie soll ich einschlafen,
so mit den Blumen im Herzen?
– M.B., wortabdruecke
17Im Bett aus nachtbleichem Gras
Über mir durchfunkelte Schwärze
Abstandsschwere Dreidimensionalität
Nachhaltig geistdurchwurzelnd
Diese Nacht behält, wer ich nicht war
Der Tag begrüßt, wer ich bin.
- musenwut
9Der seltene Gast in diesem Winter,
der Schnee, setzt sich auf
die Fensterbänke, lauscht
dem Geschehenen in den
Zimmern. Hört in meinem
Winterblues.
Die Kaffeetasse wärmt die Hände.
Deine Nachricht – mich.
Schöne Worte sind Heizkörper
für frierende Herzen.
– Marina Berin, wortabdruecke
19Gerade lösche ich lieber täglich E-Mails, als mich darum zu kümmern, in den Einstellungen die Benachrichtigungen zu deaktivieren. Und vielleicht beschreibt das ganz gut meinen Allgemeinzustand, gerade nur an der Oberfläche des Nötigsten zu kratzen, anstatt die Dinge tiefer anzupacken. Was tiefer bei mir zu finden sein soll, weiß ich gerade ohnehin nicht. Ich fühle mich wie unter einer Schneedecke begraben, geschneit hat es aber eigentlich woanders, also nennt man das wohl Symptomverschiebung. Daran erinnert mich auch der unangenehme Geschmack in meinem Mund, bei dem ich nicht weiß, ob er von Ekel vor mir selbst, der Welt oder der Zukunft kommt. Wie normalerweise am Neujahrsmorgen, nach zu viel Gin-Mate, Chips und Zigaretten. Aber ich rauche seit Februar nicht mehr, trinke nur noch ganz wenig und Neujahr war auch nur eine Perle im Rosenkranz, der mir durch die Finger geglitten ist, vor dem gebetsartigen Murmeln der Weltgeschichte. Wenn ich Kaffee trinke, tue ich das mit der Absicht ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit in mich aufzusaugen, auch wenn der Geschmack bereits nach der zweiten Tasse einen Würgreiz bei mir auslöst. Ich wollte nie geboren werden und ungewollte Geschenke stehen bei mir unberührt im Regal. Oder wie Sherlock sagt: “The value she conferred on my life is a currency I do not know how to spend”. Und vielleicht kann ich Geldgeschenke von meiner Familie deshalb so schlecht annehmen, weil ich ihnen schon von ihrer allerersten Investition abgeraten hätte.
L. M.
10
…ob die Welt irgendwann wieder
wie früher sein wird? (Damals
haben wir sie als “normal”
bezeichnet.)
Nein. Das wird sie nicht.
Weil ich
anders
geworden
bin.
– M.B., wortabdruecke. Aus dem Gedicht „Der Tag ist eine Giraffe“.
33Ich habe heute Nacht davon geträumt, dass eine Neonröhre explodiert ist, mit Scherben, Knall und Druckwelle, das volle Programm. Dabei bin ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass Neonröhren nicht explodieren können, aber wer weiß das schon. Neues Jahr, neues Glück, nicht wahr?
2020 war…gewöhnungsbedürftig, um es milde auszudrücken. Ich hätte das große Glück kaum von der Pandemie betroffen zu sein und ganz ehrlich, ja die blöde Maske nervt beim Einkaufen gehen, aber sie ist jetzt wirklich alles andere als ein Weltuntergang. Einige meiner Freunde und Bekannten sind krank geworden, aber soweit ich weiß haben sie sich alle wieder erholt.
Jetzt gibt es einen Impfstoff und irgendwann wird er auch mich erreichen und dann kann ich mich endlich wieder von Einladungen stressen lassen, die ich am liebsten sofort ablehnen würde, aber es wäre ja unhöflich und wenn man dann hingeht ist es meistens dann doch irgendwie wieder ganz okay. Und Mal wieder nicht halb-kaltes Kartonessen vom Lieferdienst, sondern echtes Restaurantessen bei besonderen Anlässen zu genießen wird bestimmt auch ganz schön.
Vielleicht können wir dann auch endlich Mal unseren Kinogutschein einlösen, wenn der überhaupt noch gültig ist.
2021 steht mein zweiter Bachelorabschluss an und danach einmal mehr die große Frage nach der Zukunft, aber um ehrlich zu sein fühle ich mich fast schon vorbereitet. Irgendwann hat man den Dreh raus, oder? Mal sehen, wir ich darüber denke, wenn es so weit ist.
Ich sorge mich ein wenig darüber, ob ich jemals wieder genug Zeit für all die Dinge haben werde, die mir während meiner Schul- und Studiumszeit so sehr ans Herz gewachsen sind. Schon in den letzten Jahren musste ich mich zwischen meinen technischen Projekten und dem Schreiben entscheiden, und dabei arbeite ich noch gar nicht Vollzeit. Es ist wirklich schade, dass der Tag nur 24 Stunden hat und man sechs bis acht davon verschläft bis man von explodierenden Neonröhren geweckt wird.
0Mein Herz ist wie eine ratternde U-Bahn aus dem letzten Jahr, nachts um 4 auf dem Rückweg von einer durchtanzten Nacht, leer bis auf ein paar besondere Menschen. Es war immer allein meinem Muskelgedächtnis zu verdanken, dass ich von der Haltestelle zur Haustür gefunden habe, fuhr mein Herz doch weiter, um diese Menschen sicher nach Hause zu bringen. Aber letztlich ist auch das Herz nur ein Muskel, der einzige, den ich in den letzten zwei Monaten trainiert habe, Vermissen wie Bankdrücken, 150 kg auf dem Brustbein. In der Stadt, in der ich jetzt lebe, gibt es keine U-Bahn, noch nicht einmal eine Straßenbahn, nur Busse, die ich vor meinem Fenster vorbeifahren sehe, wenn ich abends ein Fenster gerahmtes Scheinbar-Normalitäts-Panorama in mein Alleinsein lasse. Also entgleist mir dieser Zustand ein wenig in Richtung Einsamkeit, ich suche nach einem Schienennetz, das mich auffängt, mache vorsorglich Verkehrsknoten in Taschentücher, damit ich mich erinnere, wenn die Augen wieder feucht werden: Krumme Lanke, Arts et Métiers, Schottentor. Ich weiß nicht, wie die Haltestelle vor meinem Haus heißt, denn ich habe es noch niemandem sagen müssen.
L. M.
6Berührungsverbot
Die Luft ist warm – dafür sorgt die Heizung.
Und Kinderlächeln. Die Puppen schlafen
in ihren Bettchen. Bald ist Abholzeit.
Frau Müller dirigiert das Aufräumen.
Frau Sauer rückt ihre Frisur zurecht.
Zwei Kinder kriechen unter den Tisch,
um sich dort heimlich
zu umarmen.
– M.B., wortabdruecke,
nach wahrer Begebenheit
16Du machst mit Deinen Worten dasselbe,
was die Sonne mit ihren Strahlen macht:
mein Universum wärmer.
– M.B., wortabdruecke
28Gleich als Du fortwarst, fing es an zu regnen.
- Ich wußte, daß ein Ende so beginnt.
Weil wir nie wieder denen begegnen,
die für uns ausersehen sind.
- Mascha Kaléko
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